~ Viele Simstage später ~
"Wann
genau soll ich nach Riverview fahren und bei wem muss ich mich melden?",
erkundigte sich Michele bei Ralf. Ihm war wurde mulmig in der Magengegend, denn er wusste damit auch, was auf ihn zukam.
"Dr.
Montebello, Sie sollten sich am besten schon nach Dienstschluss auf den Weg
machen. Die Kollegen dort machen es sehr dringlich. Mir ist schleierhaft
warum. Wenn Sie noch heute Abend fahren, würden Sie es zum ersten Termin
schaffen, der schon morgen früh angesetzt ist. Aber bedenken Sie, es ist nicht
zwingend. Wenn der Termin für Sie nicht wahrnehmbar ist, dann verschieben wir
ihn. Sie wollen ja auch ihre Habilitation absolvieren. Ich drücke Ihnen dafür
beide Daumen, auch wenn ich weiß, dass Sie das nicht nötig haben." Ralf
lächelte gequält, denn wenn Michele tatsächlich als Professor zurückkommen
sollte, war die nächste Konsequenz, seinen Chefarzttitel an Michele abgeben zu
müssen.
Michele
durchforstete gedanklich seinen Terminkalender und kam zu dem Entschluss, dass
er sich diese einmalige Gelegenheit keinesfalls durch die Lappen gehen lassen
konnte. "Gut, ich werde die Einladung aus Riverview annehmen und noch
heute Abend hinreisen."
"Ich
hätte an Ihrer Stelle nicht anders gehandelt", gab Ralf zu. "Sie
haben sich Ihren Ruf hart erarbeitet und verdient. Ihre Doktorarbeit, sowie
Ihre wissenschaftlichen Berichte sind wie eine Bombe eingeschlagen. In
Fachkreisen gelten Sie mittlerweile schon als Berühmtheit und Universitäten
sind stark daran interessiert, von Ihrem Wissen zu profitieren. Ich bin stolz,
mit Ihnen in einem Team arbeiten zu dürfen."
Für
Michele war der Hype um seine Person viel zu viel. Er wollte nur seine Arbeit
machen und hatte an dieser plötzlichen Aufmerksam so gar kein Interesse. Ralf
bemerkte, dass Michele immer stiller und abwesender auf seine Schwärmerei
reagierte und schwenkte schnell das Thema in eine andere Bahn. "Dr.
Miller wird Sie eine Woche vertreten. Ich hoffe, dass Ihre Patienten ihn
annehmen werden. In Riverview steht Ihnen ein kleines, bescheidenes Häuschen
zur Verfügung."
Nachdem
seine Abreise und der neue Dienstplan besprochen worden war, nahm Michele den
Haustürschlüssel entgegen und fuhr auf direktem Weg nach Hause.
Als
er zu Hause angekommen war, traf Michele alle Vorbereitungen für seine Abreise.
Vor allem aber musste er einigen seiner Mitmenschen darüber in Kenntnis setzen.
"Eine
ganze Woche?", fragte Gianna entgeistert, nachdem Michele zuvor schon
seine Mutter, Lorenzo und Sofia darüber informiert hatte.
"Ja,
vorerst ist eine Woche angesetzt. Wenn ich für den Titel ein paar Tage länger
brauchen sollte, dann kann sich der Aufenthalt dementsprechend
verlängern."
"Und
dann kommst du echt als Professor zurück? Boah, echt krass." Sie freute
sich für ihn, auch wenn es bedeutete, dass er eine Woche nicht in der Stadt
sein würde.
"Das
ist jedenfalls mein Ziel", gab Michele nüchtern zurück.
"Wie
weit ist Riverview eigentlich von Twinbrook entfernt? Musst du lange
fahren?"
"Etwa dreihundertfünfzig Kilometer. Es ist also nicht allzu weit entfernt."
"Telefonieren
wir zwischendurch auch mal?", fragte Gianna vorsichtig. Sie konnte es nur
sehr schwer unterlassen, ihre Krallen nach ihm ausfahren. "Und wo wirst du
dann wohnen? In einem Hotel?"
"Ich
beziehe dort ein kleines Häuschen, dass mir von der Stadt zur Verfügung
gestellt wird. Wenn etwas Wichtiges ist, dann können wir sicherlich
telefonieren, aber auch nur dann." Prompt wies Michele seine Grenzen auf.
"Du
wirst uns fehlen", säuselte Gianna leise. Sie traute sich nicht zu sagen,
dass er ihr ganz besonders fehlte und das schon seit vielen Tagen.
"Pass
gut auf Elia auf. Sobald ich wieder zurück bin, melde ich mich bei euch. Bis
dann."
Es
war offensichtlich, dass Michele seine Distanz zu ihr wahrte und das verletzte
sie. Ja, sie war sehr egoistisch gewesen und am liebsten würde sie ihren im
Nachhinein dummen Eifersuchtsanfall rückgängig machen, aber Michele hatte ihr
bislang keine Chance dazu gegeben.
Eigentlich
hatte Michele überhaupt nicht das Bedürfnis, sein schönes Zuhause für mindestens
eine Woche zu verlassen. Die Pflanzen fingen wieder an zu blühen. Die Tage
wurden milder und länger und die Vögel sangen ihre Lieder lauter und
fröhlicher. Er liebte seinen Garten, seine Teichfische und sogar den Nebel, der
jeden Abend pünktlich zur Dämmerung über die Ufer schwappte. Außerdem hatte er
neue Erkenntnisse über den grünen, spuckenden Stein erlangt und hätte gerne
weiter an den Rätseln gearbeitet.
Das
Ambrosia war nach einigen Tagen aus seinem Haus verschwunden. Zu seiner
Verwunderung war bislang aber niemand zurückgekehrt. Der Bilderspuk setzte sein
Treiben fort. Ihm wurde immer wieder gezeigt, dass irgendjemand noch in seiner
Nähe war. Ob es Sandra oder Laura war, konnte er nicht mit Gewissheit sagen.
Vielleicht waren es sogar beide. Sicher war, dass irgendwer das Gericht an sich
genommen hatte.
Liebend
gern hätte sich Michele auf sein Motorrad geschwungen und wäre mit ihm nach
Riverview gefahren, aber leider konnte er darauf nicht so viel verstauen wie
in seinem Auto. Die eine Woche in Riverview wollte der junge Doktor sinnvoll
nutzen und dem Wunsch seiner verstorbenen Freundin nachkommen.
Dafür
benötigte er eine ganze Reihe diverser Materialien, die er sorgfältig im
Kofferraum verstaute. Mit Schwung schlug er die Heckklappe zu, stieg ins Auto
und machte sich auf den langen Weg nach Riverview.
Michele
war gemütlich gefahren und kam nach etwa vier Stunden gut in Riverview an. Die
weibliche Computerstimme lotste ihn durch eine Wohnsiedlung. Am Ende der
Wohnsiedlung musste er in einen schmalen Waldweg einbiegen. Am Ende der
holperigen Straße erstreckte sich ein kleines Häuschen. "Sie haben Ihr
Ziel erreicht", sagte die Navigationsstimme und schaltete sich automatisch
aus. "Na dann", erwiderte Michele und stieg aus, um das Garagentor zu
öffnen.
Kurze
Zeit später fuhr er seinen Wagen in die Garage, stieg erneut aus und schaltete
das Licht an. Es war keine Luxusvilla, das sah man sofort, aber es war ein
kleines, gemütliches und sympathisches Landhäuschen, dass alles bot, was man
für den Alltag brauchte. Alles, was Michele sonst noch brauchte, hatte er
mitgebracht. Wichtig waren vor allem die Bretthalter, weil er unbedingt Gestein
für einen weiteren Tiberium zertrümmern musste.
Seiner
Beobachtung nach war der Stein sechs Tage nach dem Schliff gewachsen, hatte
seine Größe etwa drei Tage gehalten, bis er zu seiner Ausgangsgröße zurückgeschrumpft
war. Seither hatte Michele keinerlei Veränderungen mehr feststellen können.
Ein
Phänomen, dem er unbedingt noch mehr Aufmerksamkeit schenken wollte. Er
vermutete, dass mit ihm selbst irgendetwas geschah, sobald der Tiberium seine
Größe verändert und die volle Größe erreicht hatte. Die Hinweise auf Wachstum, die vom Chinesen gekommen waren, waren auf den Tiberium bezogen, dessen war
er sich mittlerweile sicher.
Eine
Woche Riverview, fernab von den Menschen, die ihn umgaben, war die beste
Gelegenheit, den Rätseln auf den Grund zu gehen. Aus diesem Grund wollte er
jegliche Telefongespräche auf das Nötigste reduzieren. Damit wurde ihm mal
wieder deutlich, dass er noch heute auf menschliche Kontakte sehr gut
verzichten konnte, auch wenn er sich mittlerweile eingestehen musste, dass sich
Lu in seinem Leben zu einem sehr interessanten Charakter entwickelt hatte.
Sie
philosophierten viel in ihren Emails und schrieben sich Dinge, über die er
seit Sandras Ableben mit niemandem mehr intensiv gesprochen hatte. Es tat gut,
wenigstens einen Menschen im Bekanntenkreis zu wissen, mit dem man sich über
paranormale Ereignisse austauschen konnte. Diese riesengroße Lücke, die Sandra
seit ihrem Tod hinterlassen hatte, hatte zweifelsohne Lu zu einem kleinen Teil
ausgefüllt.
Für
ihn war sie ein perfekter Zeitgenosse, der ihn zeitlich nicht einschränkte, ihm
auch nicht die Luft zum Atmen raubte oder an ihm klebte. Lu gab ihm alle
Freiheiten, war überhaupt nicht aufdringlich und pochte auch nicht auf eine
schnelle Beantwortung ihrer Emails. Mit ihr war alles so leicht und
ungezwungen. Ihm tat die kleine, quirlige Chinesin sogar so gut, dass er
oftmals den Kontakt zu ihr suchte und das irritierte ihn ein wenig.
Er
bedauerte es sehr, dass er in der letzten Zeit so sehr eingespannt gewesen war,
dass es zu keine weiteren Treffen gekommen war. Er würde sie sehr gern
wiedersehen und liebäugelte mit dem Gedanken, sie nach einem Treffen zu fragen.
Auch
wenn es schon sehr spät war, hätte Michele nicht sofort schlafen können. Er
stärkte sich, anschließend nahm er sich die Zeit und schraubte seine grob
auseinandergebaute Werkbank zusammen.
Schon
als Grundschüler war Michele von der Faszination des Erfindens inhaliert
worden. Sein Traum war es, Erfinder zu werden und eine gewisse Beziehung zur
Technik aufzubauen. Auch wenn Sandras Unfall ihn letztendlich in eine ganz
andere Richtung gelenkt hatte, hatte er nie dieses Bedürfnis aus den Augen
verloren. Sicherlich fehlte ihm die Zeit, sich mit der Erfinderei eingehend zu
beschäftigen, dennoch reichte sein Wissen, dass technische Verständnis und die
Vorliebe zu Metallen aus, um einen funktionieren Roboterfisch zu entwerfen.
Auch der zweite Roboterfisch fühlte sich in seinem Pflanzenbecken wohl. Sogar bei Technik blieb er sich seinen grundsätzlichen Vorsätzen treu. Niemals
etwas in Isolation zu halten, auch einen Roboterfisch nicht.
Michele
fixierte mit seinen Augen die Werkbank und hörte Sandras Stimme, die einst zu ihm gesprochen
hatte:
"Und wenn du eines
Tages ein erfolgreicher Erfinder bist, kannst du mir so viele Geschenke machen,
wie du möchtest. Ich wünsche mir dann einen selbst gebauten Roboter, der mir
bei der Hausarbeit hilft."
Wenn nicht jetzt, wann dann? Er war fest entschlossen, ihren
damaligen Wunsch zu beherzigen und nachträglich zu erfüllen, auch wenn er kein
Erfinder geworden war. Zudem wollte er unbedingt feststellen, ob ihm der Bau
gelingen würde. Die Roboterfische waren ihm leicht gefallen, aber ein
menschlicher Roboter, wie man ihn aus Science-Fiction-Filmen kannte, war
nochmal eine ganz andere Liga.
Zusätzlich
hätte ein funktionierender Roboter sehr viele Vorzüge, von denen er gewiss
profitieren würde. Er könnte mit dem Roboter an Forschungsprojekten arbeiten
und er müsste bei einer Maschine keine Rücksicht auf Gefühle und Verletzungen
nehmen. Es wäre ein Traum, wenn sich all das in die Tat umsetzen ließe.
Wichtig
war der verbaute Chipsatz und die perfekte Dosis der menschlichen Empfindungen,
die es zu programmieren galt. Emotionen und Empfindungen durften nicht zu
gering ausfallen, denn das würde seinen Forschungsprojekten nicht zu Gute
kommen, aber es durfte auch nicht zu konzentriert ausfallen, damit er nicht
eine herumjammernde Maschine erschuf. Ein hohes Maß an Intelligenz setzte
Michele voraus. Mit einer dummen Maschine konnte er wahrlich nichts anfangen.
Während
er darüber nachdachte, wie sein Roboter aussehen sollte, ging er gedanklich
einige mögliche Schaltkreise durch. Vor allem war ein Schaltkreis dabei, das er
sich als Teenager schon zurechtgebastelt hatte und es würde ihn brennend
interessieren, ob dieser Schaltplan brauchbar war.
Michele
wusste bereits jetzt schon, dass es ein männlicher Roboter werden sollte.
Der
junge Doktor grinste, als er sich die vielen Hänselattacken in sein Gedächtnis rief,
denen er als Kind jahrelang ausgesetzt gewesen war. Frankenstein? Nein, ihr
dummen Kids. Frankensteins Vater trifft es wohl genau auf den Punkt, denn
Frankenstein wird erst noch erschaffen und zwar auf dieser Werkbank. Ich hoffe, dass
alles gut gehen wird.
~
~ ~
"Lennie,
hast du schon deine Schultasche für morgen gepackt?", rief Mia lauthals
durchs gesamte Haus.
"Leck
mich!", kam es von der oberen Etage hinunter. "Ich schwänze morgen.
Ich hasse die Uni. Ich kapiere den Dreck nicht. Ich leide unter Burnout,
Schlafstörungen und Verstopfungen."
"So
genau wollte ich das nicht wissen", erwiderte Mia und stürmte in sein
Zimmer. "Wenn du so weitermachst, kannst du dein Studium abhaken. Reiß
dich doch mal zusammen. Du bist so ein Lappen, geht gar nicht. Steh jetzt auf
und pack deine Schultasche! Sofort!"
"Wer
bist du? Meine Mutter? Geh mir nicht auf die Nerven, Mia. Ich warne dich."
"Ups,
mit Burnout, Schlafstörungen und Verstopfungen ist es anscheinend aber nicht
getan. Tollwütig hast du vergessen", sagte sie belustigt und attackierte
ihn mit einem Kissen. Lennie war so überrascht worden, dass er keine Chance
hatte auszuweichen.
"Pietro",
trompetete Lennie durch das gesamte Studentenwohnheim, ohne die Schlafenszeit zu
berücksichtigen und versuchte zeitgleich Mias Attacken auszuweichen.
Die
Tür flog auf und Tori kam fluchend dazu. "Habt ihr mal auf die Uhr
geschaut? Es gibt auch Leute, die gern ihr Studium packen möchten. Ich zum
Beispiel. Morgen bekommen wir hohen Besuch von einem Doc, der seine
Habilitation bei uns macht und uns unterrichtet. Könnte trotzdem ganz interessant
werden, weil der echt einen coolen Bericht über KISS geschrieben hat. Ich habe mich
nämlich schon mal vorab informiert, im Gegensatz zu euch. Jedenfalls bin ich auf
ihn total gespannt."
"Was interessiert mich ein
weiterer alter Tattergreis. Die sind doch alle gleich. Lernen, lernen, lernen
und nochmals lernen. Wieder ein dummer, alter Prof mehr, na und? Auch der wird mich
durchfallen lassen, weil ich den ganzen Stoff nicht kapiere", erwiderte
Lennie gelangweilt und konnte Mias nächster Attacke gekonnt ausweichen.
Pietro kam dazu und entschuldigte
sich. "Lennie, sorry, ich war auf'm Klo. Wo brennt's denn?"
"Meine
Alte stalkt mich bis hier hin. Sie hat Mia besetzt, wir müssen schleunigst
einen Exorzismus durchführen. Hol' den Tequila aus der Küche. Am besten gleich
den ganzen Eimer. Nimm Tori mit, die hat Langeweile und kann nicht
schlafen."
"Wieso
ist Mia besetzt?", fragte Pietro irritiert, während Tori ihre Augen über
so viel Dummheit verdrehte.
"Meine
Mutter steckt in ihr, frag sie!", erwiderte er amüsiert. Tori verließ
kopfschüttelnd das Zimmer und stiefelte wieder zurück in ihren Bereich. Sie
mochte ihre fünf Mitbewohner sehr, auch wenn sie manchmal mehr als anstrengend
waren und sie oftmals vom Lernen abhielten.
Auch
die ersten Paarbildungen zeichneten sich flatterhaft ab. Mia stand eventuell
auf Lennie und Pietro auf Sarah, aber manchmal auch auf Betty. Jedenfalls waren
es Toris persönlichen Einschätzungen.
Auf
Tori stand anscheinend gar kein Junge, weil sie vermutlich nicht die ideale
Tussie verkörperte, aber das störte Tori nicht im geringsten. Sie war
bekennende Anti-Tussie und hörte ganz gewiss keine debile Musik aus den Charts, die in ihr nur Würgereize verursachten.
Um ihren Kommilitonen einen Denkzettel zu verpassen, riss sie ihre
Musikanlage bis zum Anschlag auf, grölte laut und rockte ausgelassen nach
wahrer Musik mit sinnvolen Texten und richtigem Sound. Ihre Stimme hatte von Natur aus einen frechen
und rotzigen Klang, der dazu passte wie die Faust aufs Auge.
Sie
fühlte sich gerade mit diesem Song und Songtext sehr verbunden. Er erzählte ihre Geschichte.
"Toooori!",
schrie Mia so laut sie konnte und hämmerte mit ihren Händen gegen die Wand.
"Das ist brutalste Körperverletzung!"
Textlänge: 2.288 Wörter
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