Samstag, 20. Januar 2018

Teil 194 - Hol' schnell den Tequila aus der Küche ...

~ Viele Simstage später ~

"Wann genau soll ich nach Riverview fahren und bei wem muss ich mich melden?", erkundigte sich Michele bei Ralf. Ihm war wurde mulmig in der Magengegend, denn er wusste damit auch, was auf ihn zukam.

"Dr. Montebello, Sie sollten sich am besten schon nach Dienstschluss auf den Weg machen. Die Kollegen dort machen es sehr dringlich. Mir ist schleierhaft warum. Wenn Sie noch heute Abend fahren, würden Sie es zum ersten Termin schaffen, der schon morgen früh angesetzt ist. Aber bedenken Sie, es ist nicht zwingend. Wenn der Termin für Sie nicht wahrnehmbar ist, dann verschieben wir ihn. Sie wollen ja auch ihre Habilitation absolvieren. Ich drücke Ihnen dafür beide Daumen, auch wenn ich weiß, dass Sie das nicht nötig haben." Ralf lächelte gequält, denn wenn Michele tatsächlich als Professor zurückkommen sollte, war die nächste Konsequenz, seinen Chefarzttitel an Michele abgeben zu müssen.

Michele durchforstete gedanklich seinen Terminkalender und kam zu dem Entschluss, dass er sich diese einmalige Gelegenheit keinesfalls durch die Lappen gehen lassen konnte. "Gut, ich werde die Einladung aus Riverview annehmen und noch heute Abend hinreisen."

"Ich hätte an Ihrer Stelle nicht anders gehandelt", gab Ralf zu. "Sie haben sich Ihren Ruf hart erarbeitet und verdient. Ihre Doktorarbeit, sowie Ihre wissenschaftlichen Berichte sind wie eine Bombe eingeschlagen. In Fachkreisen gelten Sie mittlerweile schon als Berühmtheit und Universitäten sind stark daran interessiert, von Ihrem Wissen zu profitieren. Ich bin stolz, mit Ihnen in einem Team arbeiten zu dürfen."

Für Michele war der Hype um seine Person viel zu viel. Er wollte nur seine Arbeit machen und hatte an dieser plötzlichen Aufmerksam so gar kein Interesse. Ralf bemerkte, dass Michele immer stiller und abwesender auf seine Schwärmerei reagierte und schwenkte schnell das Thema in eine andere Bahn. "Dr. Miller wird Sie eine Woche vertreten. Ich hoffe, dass Ihre Patienten ihn annehmen werden. In Riverview steht Ihnen ein kleines, bescheidenes Häuschen zur Verfügung."

Nachdem seine Abreise und der neue Dienstplan besprochen worden war, nahm Michele den Haustürschlüssel entgegen und fuhr auf direktem Weg nach Hause.

Als er zu Hause angekommen war, traf Michele alle Vorbereitungen für seine Abreise. Vor allem aber musste er einigen seiner Mitmenschen darüber in Kenntnis setzen.

"Eine ganze Woche?", fragte Gianna entgeistert, nachdem Michele zuvor schon seine Mutter, Lorenzo und Sofia darüber informiert hatte.

"Ja, vorerst ist eine Woche angesetzt. Wenn ich für den Titel ein paar Tage länger brauchen sollte, dann kann sich der Aufenthalt dementsprechend verlängern."

"Und dann kommst du echt als Professor zurück? Boah, echt krass." Sie freute sich für ihn, auch wenn es bedeutete, dass er eine Woche nicht in der Stadt sein würde.

"Das ist jedenfalls mein Ziel", gab Michele nüchtern zurück.

"Wie weit ist Riverview eigentlich von Twinbrook entfernt? Musst du lange fahren?"

"Etwa dreihundertfünfzig Kilometer. Es ist also nicht allzu weit entfernt."

"Telefonieren wir zwischendurch auch mal?", fragte Gianna vorsichtig. Sie konnte es nur sehr schwer unterlassen, ihre Krallen nach ihm ausfahren. "Und wo wirst du dann wohnen? In einem Hotel?"

"Ich beziehe dort ein kleines Häuschen, dass mir von der Stadt zur Verfügung gestellt wird. Wenn etwas Wichtiges ist, dann können wir sicherlich telefonieren, aber auch nur dann." Prompt wies Michele seine Grenzen auf.

"Du wirst uns fehlen", säuselte Gianna leise. Sie traute sich nicht zu sagen, dass er ihr ganz besonders fehlte und das schon seit vielen Tagen.

"Pass gut auf Elia auf. Sobald ich wieder zurück bin, melde ich mich bei euch. Bis dann."

Es war offensichtlich, dass Michele seine Distanz zu ihr wahrte und das verletzte sie. Ja, sie war sehr egoistisch gewesen und am liebsten würde sie ihren im Nachhinein dummen Eifersuchtsanfall rückgängig machen, aber Michele hatte ihr bislang keine Chance dazu gegeben.

Eigentlich hatte Michele überhaupt nicht das Bedürfnis, sein schönes Zuhause für mindestens eine Woche zu verlassen. Die Pflanzen fingen wieder an zu blühen. Die Tage wurden milder und länger und die Vögel sangen ihre Lieder lauter und fröhlicher. Er liebte seinen Garten, seine Teichfische und sogar den Nebel, der jeden Abend pünktlich zur Dämmerung über die Ufer schwappte. Außerdem hatte er neue Erkenntnisse über den grünen, spuckenden Stein erlangt und hätte gerne weiter an den Rätseln gearbeitet.

Das Ambrosia war nach einigen Tagen aus seinem Haus verschwunden. Zu seiner Verwunderung war bislang aber niemand zurückgekehrt. Der Bilderspuk setzte sein Treiben fort. Ihm wurde immer wieder gezeigt, dass irgendjemand noch in seiner Nähe war. Ob es Sandra oder Laura war, konnte er nicht mit Gewissheit sagen. Vielleicht waren es sogar beide. Sicher war, dass irgendwer das Gericht an sich genommen hatte.

Liebend gern hätte sich Michele auf sein Motorrad geschwungen und wäre mit ihm nach Riverview gefahren, aber leider konnte er darauf nicht so viel verstauen wie in seinem Auto. Die eine Woche in Riverview wollte der junge Doktor sinnvoll nutzen und dem Wunsch seiner verstorbenen Freundin nachkommen.

Dafür benötigte er eine ganze Reihe diverser Materialien, die er sorgfältig im Kofferraum verstaute. Mit Schwung schlug er die Heckklappe zu, stieg ins Auto und machte sich auf den langen Weg nach Riverview.

Michele war gemütlich gefahren und kam nach etwa vier Stunden gut in Riverview an. Die weibliche Computerstimme lotste ihn durch eine Wohnsiedlung. Am Ende der Wohnsiedlung musste er in einen schmalen Waldweg einbiegen. Am Ende der holperigen Straße erstreckte sich ein kleines Häuschen. "Sie haben Ihr Ziel erreicht", sagte die Navigationsstimme und schaltete sich automatisch aus. "Na dann", erwiderte Michele und stieg aus, um das Garagentor zu öffnen.

Kurze Zeit später fuhr er seinen Wagen in die Garage, stieg erneut aus und schaltete das Licht an. Es war keine Luxusvilla, das sah man sofort, aber es war ein kleines, gemütliches und sympathisches Landhäuschen, dass alles bot, was man für den Alltag brauchte. Alles, was Michele sonst noch brauchte, hatte er mitgebracht. Wichtig waren vor allem die Bretthalter, weil er unbedingt Gestein für einen weiteren Tiberium zertrümmern musste.

Seiner Beobachtung nach war der Stein sechs Tage nach dem Schliff gewachsen, hatte seine Größe etwa drei Tage gehalten, bis er zu seiner Ausgangsgröße zurückgeschrumpft war. Seither hatte Michele keinerlei Veränderungen mehr feststellen können.

Ein Phänomen, dem er unbedingt noch mehr Aufmerksamkeit schenken wollte. Er vermutete, dass mit ihm selbst irgendetwas geschah, sobald der Tiberium seine Größe verändert und die volle Größe erreicht hatte. Die Hinweise auf Wachstum, die vom Chinesen gekommen waren, waren auf den Tiberium bezogen, dessen war er sich mittlerweile sicher.

Eine Woche Riverview, fernab von den Menschen, die ihn umgaben, war die beste Gelegenheit, den Rätseln auf den Grund zu gehen. Aus diesem Grund wollte er jegliche Telefongespräche auf das Nötigste reduzieren. Damit wurde ihm mal wieder deutlich, dass er noch heute auf menschliche Kontakte sehr gut verzichten konnte, auch wenn er sich mittlerweile eingestehen musste, dass sich Lu in seinem Leben zu einem sehr interessanten Charakter entwickelt hatte.

Sie philosophierten viel in ihren Emails und schrieben sich Dinge, über die er seit Sandras Ableben mit niemandem mehr intensiv gesprochen hatte. Es tat gut, wenigstens einen Menschen im Bekanntenkreis zu wissen, mit dem man sich über paranormale Ereignisse austauschen konnte. Diese riesengroße Lücke, die Sandra seit ihrem Tod hinterlassen hatte, hatte zweifelsohne Lu zu einem kleinen Teil ausgefüllt.

Für ihn war sie ein perfekter Zeitgenosse, der ihn zeitlich nicht einschränkte, ihm auch nicht die Luft zum Atmen raubte oder an ihm klebte. Lu gab ihm alle Freiheiten, war überhaupt nicht aufdringlich und pochte auch nicht auf eine schnelle Beantwortung ihrer Emails. Mit ihr war alles so leicht und ungezwungen. Ihm tat die kleine, quirlige Chinesin sogar so gut, dass er oftmals den Kontakt zu ihr suchte und das irritierte ihn ein wenig.

Er bedauerte es sehr, dass er in der letzten Zeit so sehr eingespannt gewesen war, dass es zu keine weiteren Treffen gekommen war. Er würde sie sehr gern wiedersehen und liebäugelte mit dem Gedanken, sie nach einem Treffen zu fragen.

Auch wenn es schon sehr spät war, hätte Michele nicht sofort schlafen können. Er stärkte sich, anschließend nahm er sich die Zeit und schraubte seine grob auseinandergebaute Werkbank zusammen.

Schon als Grundschüler war Michele von der Faszination des Erfindens inhaliert worden. Sein Traum war es, Erfinder zu werden und eine gewisse Beziehung zur Technik aufzubauen. Auch wenn Sandras Unfall ihn letztendlich in eine ganz andere Richtung gelenkt hatte, hatte er nie dieses Bedürfnis aus den Augen verloren. Sicherlich fehlte ihm die Zeit, sich mit der Erfinderei eingehend zu beschäftigen, dennoch reichte sein Wissen, dass technische Verständnis und die Vorliebe zu Metallen aus, um einen funktionieren Roboterfisch zu entwerfen. Auch der zweite Roboterfisch fühlte sich in seinem Pflanzenbecken wohl. Sogar bei Technik blieb er sich seinen grundsätzlichen Vorsätzen treu. Niemals etwas in Isolation zu halten, auch einen Roboterfisch nicht.

Michele fixierte mit seinen Augen die Werkbank und hörte Sandras Stimme, die einst zu ihm gesprochen hatte:

"Und wenn du eines Tages ein erfolgreicher Erfinder bist, kannst du mir so viele Geschenke machen, wie du möchtest. Ich wünsche mir dann einen selbst gebauten Roboter, der mir bei der Hausarbeit hilft."

Wenn nicht jetzt, wann dann? Er war fest entschlossen, ihren damaligen Wunsch zu beherzigen und nachträglich zu erfüllen, auch wenn er kein Erfinder geworden war. Zudem wollte er unbedingt feststellen, ob ihm der Bau gelingen würde. Die Roboterfische waren ihm leicht gefallen, aber ein menschlicher Roboter, wie man ihn aus Science-Fiction-Filmen kannte, war nochmal eine ganz andere Liga.

Zusätzlich hätte ein funktionierender Roboter sehr viele Vorzüge, von denen er gewiss profitieren würde. Er könnte mit dem Roboter an Forschungsprojekten arbeiten und er müsste bei einer Maschine keine Rücksicht auf Gefühle und Verletzungen nehmen. Es wäre ein Traum, wenn sich all das in die Tat umsetzen ließe.

Wichtig war der verbaute Chipsatz und die perfekte Dosis der menschlichen Empfindungen, die es zu programmieren galt. Emotionen und Empfindungen durften nicht zu gering ausfallen, denn das würde seinen Forschungsprojekten nicht zu Gute kommen, aber es durfte auch nicht zu konzentriert ausfallen, damit er nicht eine herumjammernde Maschine erschuf. Ein hohes Maß an Intelligenz setzte Michele voraus. Mit einer dummen Maschine konnte er wahrlich nichts anfangen.

Während er darüber nachdachte, wie sein Roboter aussehen sollte, ging er gedanklich einige mögliche Schaltkreise durch. Vor allem war ein Schaltkreis dabei, das er sich als Teenager schon zurechtgebastelt hatte und es würde ihn brennend interessieren, ob dieser Schaltplan brauchbar war.

Michele wusste bereits jetzt schon, dass es ein männlicher Roboter werden sollte.

Der junge Doktor grinste, als er sich die vielen Hänselattacken in sein Gedächtnis rief, denen er als Kind jahrelang ausgesetzt gewesen war. Frankenstein? Nein, ihr dummen Kids. Frankensteins Vater trifft es wohl genau auf den Punkt, denn Frankenstein wird erst noch erschaffen und zwar auf dieser Werkbank. Ich hoffe, dass alles gut gehen wird.

~ ~ ~

"Lennie, hast du schon deine Schultasche für morgen gepackt?", rief Mia lauthals durchs gesamte Haus.

"Leck mich!", kam es von der oberen Etage hinunter. "Ich schwänze morgen. Ich hasse die Uni. Ich kapiere den Dreck nicht. Ich leide unter Burnout, Schlafstörungen und Verstopfungen."

"So genau wollte ich das nicht wissen", erwiderte Mia und stürmte in sein Zimmer. "Wenn du so weitermachst, kannst du dein Studium abhaken. Reiß dich doch mal zusammen. Du bist so ein Lappen, geht gar nicht. Steh jetzt auf und pack deine Schultasche! Sofort!"

"Wer bist du? Meine Mutter? Geh mir nicht auf die Nerven, Mia. Ich warne dich."

"Ups, mit Burnout, Schlafstörungen und Verstopfungen ist es anscheinend aber nicht getan. Tollwütig hast du vergessen", sagte sie belustigt und attackierte ihn mit einem Kissen. Lennie war so überrascht worden, dass er keine Chance hatte auszuweichen.

"Pietro", trompetete Lennie durch das gesamte Studentenwohnheim, ohne die Schlafenszeit zu berücksichtigen und versuchte zeitgleich Mias Attacken auszuweichen.

Die Tür flog auf und Tori kam fluchend dazu. "Habt ihr mal auf die Uhr geschaut? Es gibt auch Leute, die gern ihr Studium packen möchten. Ich zum Beispiel. Morgen bekommen wir hohen Besuch von einem Doc, der seine Habilitation bei uns macht und uns unterrichtet. Könnte trotzdem ganz interessant werden, weil der echt einen coolen Bericht über KISS geschrieben hat. Ich habe mich nämlich schon mal vorab informiert, im Gegensatz zu euch. Jedenfalls bin ich auf ihn total gespannt."

"Was interessiert mich ein weiterer alter Tattergreis. Die sind doch alle gleich. Lernen, lernen, lernen und nochmals lernen. Wieder ein dummer, alter Prof mehr, na und? Auch der wird mich durchfallen lassen, weil ich den ganzen Stoff nicht kapiere", erwiderte Lennie gelangweilt und konnte Mias nächster Attacke gekonnt ausweichen.

Pietro kam dazu und entschuldigte sich. "Lennie, sorry, ich war auf'm Klo. Wo brennt's denn?"

"Meine Alte stalkt mich bis hier hin. Sie hat Mia besetzt, wir müssen schleunigst einen Exorzismus durchführen. Hol' den Tequila aus der Küche. Am besten gleich den ganzen Eimer. Nimm Tori mit, die hat Langeweile und kann nicht schlafen."

"Wieso ist Mia besetzt?", fragte Pietro irritiert, während Tori ihre Augen über so viel Dummheit verdrehte.

"Meine Mutter steckt in ihr, frag sie!", erwiderte er amüsiert. Tori verließ kopfschüttelnd das Zimmer und stiefelte wieder zurück in ihren Bereich. Sie mochte ihre fünf Mitbewohner sehr, auch wenn sie manchmal mehr als anstrengend waren und sie oftmals vom Lernen abhielten.

Auch die ersten Paarbildungen zeichneten sich flatterhaft ab. Mia stand eventuell auf Lennie und Pietro auf Sarah, aber manchmal auch auf Betty. Jedenfalls waren es Toris persönlichen Einschätzungen.

Auf Tori stand anscheinend gar kein Junge, weil sie vermutlich nicht die ideale Tussie verkörperte, aber das störte Tori nicht im geringsten. Sie war bekennende Anti-Tussie und hörte ganz gewiss keine debile Musik aus den Charts, die in ihr nur Würgereize verursachten.


Um ihren Kommilitonen einen Denkzettel zu verpassen, riss sie ihre Musikanlage bis zum Anschlag auf, grölte laut und rockte ausgelassen nach wahrer Musik mit sinnvolen Texten und richtigem Sound. Ihre Stimme hatte von Natur aus einen frechen und rotzigen Klang, der dazu passte wie die Faust aufs Auge.


Sie fühlte sich gerade mit diesem Song und Songtext sehr verbunden. Er erzählte ihre Geschichte.

"Toooori!", schrie Mia so laut sie konnte und hämmerte mit ihren Händen gegen die Wand. "Das ist brutalste Körperverletzung!"

Textlänge: 2.288 Wörter

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